Perfektionismus

Wie ich schon in der Danksagung meines Romans Lehrerherz geschrieben habe, ist Linda zwar eine fiktive Figur, doch wir haben durchaus so manche Gemeinsamkeiten. Eine davon ist zweifellos unser Perfektionismus.

Nicht nur Linda, die sich bei ihrer neuen Arbeitsstelle beweisen will, wird von dieser Eigenschaft beeinflusst. Schon im dritten Kapitel wird deutlich, was wohl auch viele Autor:innen, insbesondere im Self-Publishing, kennen.

Es war mir jedes Mal unglaublich peinlich, wenn meine Materialien Fehler enthielten, weshalb ich grundsätzlich alles mehrfach kontrollierte, bis ich sicher war, nicht mal einen klitzekleinen Rechtschreibfehler eingebaut zu haben. Mir war natürlich klar, dass ich meine Arbeitszeit auf diese Weise selbst verlängerte, aber das war mir noch immer bedeutend lieber, als einen unprofessionellen Eindruck zu hinterlassen.

Lehrerherz, S. 68

Gehörst Du auch zu den Menschen, die alle (wichtigen) Dinge noch hundertmal überprüfen, bevor sie sie jemandem zeigen?

Wenn ich mit anderen darüber spreche, höre ich häufig ganz unterschiedliche Meinungen dazu. „Aber das ist doch eine gute Eigenschaft“, sagen die einen. „Wozu denn dieser ganze Stress?“, fragen die anderen. Und dabei haben beide Seiten durchaus gute Argumente.

Mein Freund, der Perfektionismus?

Wenn ich nicht perfektionistisch veranlagt wäre, dann wäre ich heute nicht, wo ich bin.

Diesen Satz würde ich sofort unterschreiben. Perfektionismus treibt zu Höchstleistungen an. Er gibt sich nicht mit dem Zweitbesten zufrieden, sondern strebt nach mehr. Perfektionist:innen arbeiten so lange an einer Sache, bis man sie wirklich nicht mehr besser machen kann. Das Resultat sind in der Regel exzellente Ergebnisse, sei es in Schule, Beruf oder Freizeit. Wenn höchste Qualitätsansprüche erfüllt werden müssen, dann ist der Perfektionismus zur Stelle. Er lässt nicht eher locker, als dass man das Beste aus sich herausgeholt hat.

Und natürlich klingen die Versprechen verlockend. Ein einwandfreies Auftreten macht einen professionellen Eindruck, wohingegen Fehler oder kleine Unzulänglichkeiten als Schwäche oder Mängel interpretiert werden können. Wer würde ein Buch kaufen, das vor Fehlern wimmelt? Wer stellt Bewerber:innen mit schlampigen Unterlagen ein? Wer wählt ein Produkt aus, das unsauber verarbeitet ist?

Perfektionismus kann Scheitern verhindern.

Aber er kann es auch bewirken.

Mein Feind, der Perfektionismus

Wenn ich nicht perfektionistisch veranlagt wäre, dann wäre ich heute nicht, wo ich bin.

Ich würde diesen Satz sofort unterschreiben. Und nein, Du hast dich nicht verlesen. Es ist tatsächlich derselbe Satz wie eben. Doch er ist auch in diesem Kontext mindestens genauso wahr. Denn wenn ich nicht perfektionistisch veranlagt wäre, dann wäre ich vielleicht ebenfalls nicht hier, sondern schon ganz woanders.

Perfektionismus bremst. Er gibt sich nicht mit „sehr gut“ zufrieden, denn er will mehr. Immer noch mehr. Ob dieses mehr einen Mehrwert hat, ist egal. Und so hält er auf, hält zurück. Kennst Du das Pareto-Prinzip? Die letzten zwanzig Prozent erfordern achtzig Prozent der Zeit, der Anstrengung, der Nerven. Wenn andere schon längst zufrieden mit dem Ergebnis wären, finden Perfektionist:innen immer noch eine Kleinigkeit, die verbessert werden könnte.

Und mit dem Perfektionismus kommt auch die Angst. Die Sorge, den eigenen und (vermeintlichen) fremden Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Zu versagen.

So kommt es, dass Projekte nie fertiggestellt werden. Dass Bewerbungen nicht abgeschickt, Bücher nicht veröffentlicht oder Träume nicht verwirklicht werden. Weil es schiefgehen könnte.

In einem Webinar der Self-Publishing School habe ich mal einen Satz gehört, der es sehr gut trifft. Was bringt Dir ein perfektes erstes Kapitel, wenn der Rest des Buches niemals fertig wird? Was hat man von den ganzen angefangenen, aber nie zu Ende gebrachten Projekten?

Perfektionismus inszeniert sich als Dein bester Freund.

Dabei ist er gleichzeitig Dein größter Feind.

Done is better than perfect

Ein schöner Spruch für die Kaffeetasse oder den Desktophintergrund. Doch so sehr sich die Perfektionistin in mir auch dagegen sträubt: Es ist die Wahrheit.

In eine Villa ohne Dach regnet es rein – nur in einem fertigen Haus kann man wohnen. Oder um wieder zum Anfang des Artikels zurückzukommen: Nur mit einem fertigen Buch kann man Menschen erreichen. Es gibt einhundert verschiedene Arten, jeden Satz zu formulieren. Manche sind vielleicht besser verständlich, andere klingen besser. Doch Du musst Dich für eine Version entscheiden, wenn Du Deinen Traum verwirklichen willst.

Die Schwierigkeit liegt darin, zu erkennen, wann etwas gut genug ist. Nicht immer weiter zu optimieren und so niemals fertig zu werden. Aber auch nicht aufzuhören, bevor ein Ergebnis erreicht ist, auf das man stolz sein kann. Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo in der Mitte.

Ich könnte es niemals vor mir verantworten, lieblose Null-Acht-Fünfzehn-Stories zu produzieren. Wenn ich im Selbstverlag ein Buch veröffentliche, dann will ich mit Überzeugung sagen, dass ich meinen Leser:innen Qualität biete. Aber ich möchte am Ende auch ein Buch in der Hand halten, das ich mit der Welt teilen kann. Und deshalb muss ich irgendwann einen Schlussstrich ziehen.

Denn nur so wird Raum frei für neue Abenteuer.

Ich freue mich sehr, wenn Du Lust hast, mich dabei zu begleiten 😊

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